Homeoffice-Talk mit Birgit Mähler

Foto: © Zonta Union, Robert Szkudlarek

Seit vielen Jahren engagiert sich Birgit Mähler als Delegierte für die Union deutscher Zonta-Clubs im Deutschen Frauenrat. Die ausgebildete Familientherapeutin und Mediatorin ist in ihrer täglichen Arbeit mit den Auswirkungen der Corona-Krise konfrontiert. In unserer Reihe Homeoffice-Talks, die wir hier weiter fortsetzen, schildert sie, wie sie die Auswirkungen der Corona-Krise auf ihr Engagement und ihre Arbeit erlebt.

Homeoffice-Redaktion: Liebe Birgit, wo treffen wir Dich gerade an und wie ist es Dir auch in Deinem Beruf als Therapeutin seit dem Lockdown ergangen?

Birgit Mähler: Ich sitze gerade an meinem Schreibtisch zuhause. Persönlich geht es mir verhältnismäßig gut. Für meine Arbeit musste einiges umorganisiert werden. Beratungsgespräche waren lange nur aus dem Homeoffice telefonisch oder digital möglich. Nach der Lockerung der Corona-Maßnahmen haben wir dann zunächst einmal die Voraussetzungen für die Beratung von Familien und Paaren unter sicheren Schutz- und Hygiene-Bedingungen schaffen müssen. Aber jetzt läuft auch das wieder.

Homeoffice-Redaktion: Wie erlebst Du die Situation für Familien und Paare, worauf kommt es derzeit besonders an?

Birgit Mähler: Gerade für Frauen sind die Belastungen in der Krise in unerträglicher Weise spürbar. Das hat bereits im April etwa auch die Sozialwissenschaftlerin Ute Klammer in einem Interview mit dem Deutschlandfunk verdeutlicht. Wie auch WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger befürchtet sie eine Retraditionalisierung der Rollen, die die ungleichen Geschlechterverhältnisse weiter zementiert. Ähnliches beobachte ich auch in meinem Arbeitsbereich.

„WIR BEOBACHTEN EINE ZUNAHME HÄUSLICHER GEWALT."

Homeoffice-Redaktion: Was hat sich durch den Shut down für Deine Klientinnen und Klienten, Familien, Alleinerziehende, Paare in Scheidung verändert?

Birgit Mähler: Ich habe inzwischen viele Gespräche mit überlasteten Frauen geführt. Ob systemrelevant oder im Homeoffice: Es bleibt einfach zu viel an ihnen hängen. Sie betreuen die Kinder zu Hause, ersetzen die Lehrerin, sind zusätzlich noch für ihre Eltern da. Und das ist nach wie vor vielfach der Fall. Gut, dass diese Frauen sich in dieser Extremsituation an uns wenden und Entlastung suchen. Es lässt sich nach wie vor schwer abschätzen, wie sich das in den kommenden Wochen und Monaten weiterentwickelt. Nicht nur das enge Zusammensein ohne Ausweichmöglichkeit im sozialen Umfeld und die zusätzlichen Aufgaben durch schulpflichtige Kinder belasten die Familien. Es verstärken sich derzeit überall die Existenzsorgen durch Einkommensverluste. Das verschärft natürlich auch bestehende Konflikte in Familie und Partnerschaft. Bei uns steigen die Anmeldungen von Frauen gerade stark an. Trennung oder Scheidung und leider vielfach auch erlebte Gewalt sind die Auslöser.

Homeoffice-Redaktion: Eine Zunahme häuslicher Gewalt wird im Zusammenhang mit der Corona-Krise weltweit beobachtet. Der UN Generalsekretär António Guterres hatte schon im April von den Regierungen konkrete Maßnahmen gefordert, das zu stoppen.

Birgit Mähler: Vollkommen zurecht. Wir beobachten eine solche Zunahme leider auch in Deutschland. Eine erste repräsentative Studie der Technischen Universität München hat uns das drastisch vor Augen geführt. Rund 3 Prozent der Frauen in Deutschland haben in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause körperliche Gewalt erfahren. 3,6 Prozent wurden von ihrem Partner vergewaltigt. In 6,5 Prozent aller Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft.

„MIR NOTRUFHILFE HOLEN ZU KÖNNEN, KANN MIR DAS LEBEN RETTEN."

Homeoffice-Redaktion: Der Deutsche Frauenrat, der die Ende April gestartete Kampagne des Bundesfamilienministeriums „Zuhause nicht sicher" unterstützt, hat in diesem Zusammenhang unter anderem eine Ausweitung des Hilfesystems und eine bessere Finanzierung gefordert. Mehr Aufmerksamkeit für Hilfsangebote alleine reiche nicht, hieß es. Wie beobachtest Du das?

Birgit Mähler: Es passiert jetzt ganz viel von allen Seiten, auch im Deutschen Frauenrat. Das will ich hier vorausschicken. Auch hier wird seither überwiegend im Homeoffice gearbeitet, aber der Deutsche Frauenrat ist sehr aktiv geblieben und nutzt dazu auch die digitalen Möglichkeiten. Die Kampagne des Bundesfamilienministeriums begrüßen auch wir Zontians. Zugleich tragen wir die Forderungen des Deutschen Frauenrates, in dem wir gemeinsam mit zahlreichen Frauenorganisationen vertreten sind, ausdrücklich mit. Was die Ausweitung des Hilfesystems anbelangt fand ich die Empfehlung der Leopoldina genau richtig. Sie riet dazu, nach französischem und spanischem Vorbild „Maske 19" auch in Deutschland zu etablieren und zusätzliche Anlaufstellen für von häuslicher Gewalt Betroffene zu schaffen.

Homeoffice-Redaktion: Die Union deutscher Zonta Clubs hat sich klar dazu positioniert und im Juni selbst Maske 19 in Deutschland gestartet. Dabei werden gezielt Apotheken, Arztpraxen und Kliniken als Notrufhelfer angesprochen. Was ist aus Deiner Sicht der Nutzen?

Birgit Mähler: Mir bei akuter Gefahr in geschütztem Rahmen Notrufhilfe holen zu können, kann mir unter Umständen das Leben retten. In Apotheken, Arztpraxen und Kliniken ist ein geschützter Rahmen gegeben. Diese Berufsgruppen unterliegen der Schweigepflicht. Der Anruf bei der Polizei erfolgt mit Einverständnis der Betroffenen vom Telefon aus Apotheke, Arztpraxis oder Klinik und nicht vom eigenen Telefon. Er ist damit durch den gewalttätigen Partner nicht zurück verfolgbar. Das Polizeiauto vor der Apotheke oder Praxis ist zudem deutlich unauffälliger als vor der eigenen Haustür. Das kann aus meiner Erfahrung ein sinnvoller Weg für viele Betroffene sein, nicht nur in Zeiten des Lockdowns. Und da ist schlicht auch das Engagement der Zivilgesellschaft gefragt. Inzwischen beteiligen sich zahlreiche Zonta Clubs in Bayern, Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen an der Aktion, immer mehr Apotheken und Praxen machen mit. Auch unser Zonta Club Hamm-Unna ist dabei, und ich erwarte weitere Unterstützung aus dem gesamten Bundesgebiet.

Homeoffice-Redaktion: Wie geht es weiter mit der Clubarbeit in Hamm?

Birgit Mähler: Auch bei uns ist die Clubarbeit durch Corona natürlich deutlich erschwert. Wir haben wegen der Pandemie eine unserer wichtigsten Veranstaltungen absagen müssen, den Zirkus mit dem wir alljährlich unser Frauenhaus fördern. Da blutet mein Herz. Die Frauen werden uns mit großen Augen anschauen, denn das reißt ein empfindliches Loch in ihr ohnehin knappes Budget. Wir überlegen gerade, wie wir unser Fundraising umstellen und das zumindest ein bisschen ausgleichen können. Vielleicht durch eine digitale Spendenaktion. Aber das hat natürlich kaum dieselbe Wirkung wie eine Veranstaltung, die von der persönlichen Begegnung lebt und gemeinsame Erlebnisse schafft.

„WIR BRAUCHEN EINE FEMINISTISCHE AUSSENPOLITIK."

Homeoffice-Redaktion: Wir haben ein wichtiges frauenpolitisches Jahr. Welchen Einfluss hat Corona aus Deiner Sicht auf die Umsetzung der weltweit verabredeten Ziele in Sachen Gleichstellung in Deutschland?

Birgit Mähler: Der CSW64 in New York hat in Teilen ja wenigstens digital stattgefunden. Und die Abschlusserklärung stand glücklicherweise. Auch die Arbeit in den einzelnen Gremien und Organisationseinheiten etwa zur weltweiten Generation Equality Kampagne läuft inzwischen wieder kraftvoll an. Das ist eine außerordentlich wichtige Kampagne der UN Women. Es wäre tragisch gewesen, wenn dieser Schub zur Umsetzung der Agenda 2030 auf der Strecke geblieben wäre. Bundesfamilienministerin Giffey hatte für dieses wichtige frauenpolitische Jahr angekündigt, die ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie im ersten Halbjahr umzusetzen, was bedeutet, dass alle Bundesministerien Gleichstellung als Querschnittsthema in ihren Vorhaben und Projekten berücksichtigen sollten. Auch ist für 2020 die Gründung eines Bundesinstituts für Gleichstellung geplant, wie im Koalitionsvertrag beschrieben, um „wissenschaftlich fundiert insbesondere Fragen der gerechten Partizipation von Frauen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft" zu bearbeiten. Corona unterbrach dies, aber inzwischen ist auch das in vollem Gang und nun bleibt abzuwarten, wie das weitere Vorgehen im Detail aussehen und hoffentlich zügig in den Fachressorts umgesetzt wird.

Homeoffice-Redaktion: Mit Blick auch über unseren nationalen Tellerrand: Worauf kommt es aus Deiner Sicht besonders an?

Birgit Mähler: Wir brauchen grundsätzlich eine feministische Außenpolitik mit internationaler Zusammenarbeit weltweit. Das ist gerade auch während die Pandemie noch einmal besonders deutlich geworden.
In zahlreichen Ländern beobachten wir große frauenpolitische Rückschritte. Die Frauenrechtskonvention wird selbst hierzulande noch zu wenig beachtet. Dabei gibt es diese für alle rechtsverbindliche Vereinbarung seit über 40 Jahren. Und auch die Aktionsplattform von Peking, die in diesem Jahr 25. Jubiläum feiert, harrt in vielen Ländern der entsprechenden Maßnahmen und Budgets zur konsequenten Umsetzung und wird durch neue Entwicklungen geradezu blockiert.

Homeoffice-Redaktion: Deutschland hat seit Juli bis Dezember 2020 die EU-Ratspräsidentschaft. Eine Chance?

Birgit Mähler: Ich hoffe, dass es gelingt, an der geplanten Gleichstellungsstrategie trotz Krise festzuhalten und die Ziele stringent zu verfolgen. Aber ich bin skeptisch: Wir erleben, dass viele Länder immer weiter weg driften vom vereinbarten Ziel der Geschlechtergerechtigkeit. In Ungarn, Polen, in Russland und in den USA, um nur ein paar Beispiele zu nennen, wird der vermeintliche Schutz der Familie gegen die Menschenrechte für Frauen und Mädchen ausgespielt. Dabei gehört beides unabdingbar zusammen. In manchen Ländern wird zudem die Pandemie ausgenutzt, autokratische und despotische Strukturen zu manifestieren. Das geht in erster Linie zu Lasten von Frauen und Mädchen.

„WIR MÜSSEN DEM PUSHBACK AUF ALLEN EBENEN ENTGEGENWIRKEN."

Homeoffice-Redaktion: Um dieser Entwicklung gemeinsam zu begegnen, wäre sicher auch der Austausch untereinander auf der Convention in Chicago sehr hilfreich gewesen?

Birgit Mähler: Ja, unbedingt. Leider mussten wir in diesem so besonderen Zontajahr darauf verzichten. Es hängt viel davon ab, dass wir dem push back auf allen Ebenen entschieden entgegenwirken können, durch Advocacy genauso wie durch Service und Education.

Homeoffice-Redaktion: Was wünschst Du Dir jetzt am meisten für unsere Arbeit?

Birgit Mähler: Ich hoffe, dass wir alle uns in dem neuen Arbeitsmodus rasch und gut zurechtfinden. Immerhin: Wir sind trotz Corona drangeblieben, haben uns weiterhin Überblick verschafft und uns mit geeigneten Formaten vertraut gemacht, um handlungsfähig zu bleiben. Erste Lockerungen lassen nun auch wieder Clubtreffen zu, wenn auch mit Abstand und Atemschutz. Wir hoffen, wir bleiben von einem weiteren Lockdown verschont. Ich nehme aber wahr, dass auf allen Ebenen und in zahlreichen Clubs ganz viel passiert. Da beobachte ich ein Riesenengagement, eine große Solidarität, viel Kreativität und auch Mut zur Improvisation. Das stimmt mich zuversichtlich.

Homeoffice-Redaktion: Liebe Birgit, wir danken Dir für das Gespräch.

Zum Homeoffice-Talk mit Susanne von Bassewitz